WAS EINE REZESSION FÜR AKTIEN UND CO. BEDEUTET
Inflation, steigende Zinsen, sinkende Aktienkurse: Viel ist derzeit von einer drohenden Rezession die Rede. Was heißt das genau und welche Folgen hätte das für Anleger? Thorsten Schrieber, Vorstand bei DJE Kapital, gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Aktuell kommt man an dem Wort Rezession nicht vorbei: Wahlweise ist eine Rezession unausweichlich, sehr wahrscheinlich oder sogar bereits da. Bei vielen Anlegerinnen und Anlegern sorgt das unweigerlich für ein ungutes Gefühl. Hier wesentliche Fragen und Antworten im Überblick.
WAS GENAU IST EINE REZESSION?
Orientiert man sich an der aktuellen Berichterstattung, so entsteht leicht der Eindruck, dass eine Rezession die Tiefphase eines Konjunkturzyklus darstellt. Tatsächlich handelt es sich bei der Rezession um die Phase des Abschwungs, die sich durch eine abnehmende Wirtschaftsleistung äußert. Experten sprechen dann von einer Rezession, wenn das Brutto-Inlandsprodukt (BIP) einer Volkswirtschaft in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen im Vorjahresvergleich rückläufig ist. Dabei ist egal, wie klein oder groß die Diskrepanz zwischen den Vergleichswerten ist.
BIP: Das Bruttoinlandsprodukt ist eine offizielle Messgröße für die Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft. Es misst die Gesamtproduktion aller Waren und Dienstleistungen im Inland nach Abzug aller Vorleistungen.
WORAN ERKENNT MAN EINE REZESSION?
Neben dem rückläufigen BIP gibt es noch weitere Kennzeichen, unter anderem:
- fallende Börsenkurse
- sinkende Produktion
- abnehmendes Lohnniveau
- zunehmende Arbeitslosigkeit
- Rückgang der Nachfrage und des Konsums
- pessimistische Marktprognosen
- überhohe Lagerbestände
- sinkende Preise
Generell gilt: Nicht jede Rezession ist gleich, weswegen die Merkmale im Einzelfall abweichen können.
WARUM IST EINE REZESSION EIN VOLKSWIRTSCHAFTLICHES PROBLEM?
Eine Volkswirtschaft, die sich abkühlt und an Fahrt verliert, kennt viele Verlierer. Dazu gehören vor allem die Beschäftigten im Niedriglohnsektor sowie Haushalte mit geringerem Einkommen. Viele Unternehmen werden zum Sparen gezwungen und versuchen, ihre fundamentalen Daten durch Personalabbau zu verbessern. Die Sozialsysteme werden durch eine steigende Arbeitslosigkeit belastet – abnehmender Konsum wiederum verringert staatliche Steuereinnahmen und die Umsätze der Unternehmen. Und: Nicht jedes Unternehmen überlebt einen solchen wirtschaftlichen Abschwung.
WELCHE POSITIVEN EFFEKTE KANN EINE REZESSION HABEN?
Bei allen Schwierigkeiten, die eine Rezession mit sich bringt – sie kann auch Positives bewirken. Unternehmen, deren Geschäftsmodelle langfristig nicht tragfähig sind, etwa weil sie nur auf Pump ausgelegt sind, werden bisweilen ausgesiebt. So findet eine gewisse Form der Bereinigung statt. Die Nachfrage lässt nach, und damit sinkt in der Regel auch die Inflationsrate. Die Überhitzung, die in der Phase der Hochkonjunktur eingesetzt hat, kühlt allmählich ab.
Und bereits die Überhitzung ist gekennzeichnet von teils negativen Merkmalen wie:
- geringes oder stagnierendes Wachstum
- Übertreibungen und zu starker Optimismus führen zu Fehlinvestitionen
- Preise steigen
- fragmentierte Märkte erfahren stärkere Konzentration
Insofern ist die derzeit weit verbreitete Furcht vor einer Rezession nur die halbe Wahrheit. Eine Rezession ist eine vielschichtige Konjunkturphase, die eine Volkswirtschaft durchaus wieder auf einen langfristig stabileren Weg führen kann.
BLICK ZURÜCK: WANN GAB ES DIE LETZTE REZESSION?
So dramatisch, wie derzeit über eine drohende Rezession berichtet wird, könnte der Eindruck entstehen, dass dieses Phänomen nur sehr selten auftritt und die letzte Rezession Jahrzehnte zurückliegt. Falsch – zurück in das Corona-Jahr 2020: Laut den Daten des Bureau of Economic Analysis wiesen exemplarisch in den USA die ersten beiden Quartale eine negative BIP-Entwicklung im Vorjahresvergleich auf. Durch mehr monetäre und fiskalpolitische Anstrengung konnte die Rezession jedoch schnell gestoppt werden. Ein solcher Eingriff erscheint vor dem Hintergrund des aktuellen Inflationsgeschehens allerdings noch unwahrscheinlich. Erst ein Rückgang der Teuerungsraten könnte den Notenbanken wieder mehr Manövrierfähigkeit geben. Insofern taugt die Corona-Rezession von 2020 nur bedingt als Vergleich.
Gehen wir etwas weiter zurück. Anfang der 1990er rutschte die US-Wirtschaft in eine Rezession. Sie wurde ausgelöst von der restriktiven Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve, um die steigende Inflation zu bekämpfen. Steigende Ölpreise trugen maßgeblich zum Anziehen der Inflation bei. Wichtigster Preistreiber: der irakische Überfall auf Kuwait. Der so genannte Ölpreis-Schock hielt rund neun Monate an, bis eine internationale Koalition unter Führung der USA Saddam Husseins Truppen zurückdrängen und die Ängste um die Ölversorgung auflösen konnte.
WIE WIRKTEN SICH REZESSIONEN IN DER VERGANGENHEIT AUF DIE AKTIENMÄRKTE AUS?
Insgesamt gilt die 1990er-Rezession der US-Konjunktur als vergleichsweise milde, sie dauerte nur acht Monate. Dennoch wurde sie von einem Bärenmarkt für Aktien flankiert, in dessen Spitze der S&P 500 in nur 68 Tagen 20 Prozent verlor. Auch global kühlte das Wirtschaftsklima ab, sodass die europäischen Aktien ebenfalls in einen Bärenmarkt gerieten. Dieser dauerte 131 Tage und der Index verlor bis zu 24 Prozent. Besonders lehrreich ist allerdings nicht der Blick auf die maximalen Verluste der Bärenmärkte, sondern vielmehr auf die Erholung der Aktienmärkte nach diesen Rückschlägen.
WHAT COMES DOWN MUST GO UP AGAIN – WANN UND WIE ERHOLEN SICH DIE MÄRKTE?
Nur drei Monate nach dem Tiefpunkt des Bärenmarkts sah die Welt der Aktienmärkte bereits ganz anders aus. Der S&P 500 lag bereits wieder bei einem Plus von 23 Prozent, der MSCI Europe notierte bei +25 Prozent. Ein Einzelfall, den die Märkte dem milden Rezessionsverlauf zu verdanken hatten? Nicht ganz. Die Statistik zeigt, dass der S&P 500 bei Bärenmärkten im Schnitt sechs Monate nach dem Tiefpunkt bei +25 Prozent, zwölf Monate danach sogar bei +36 Prozent steht. Demgegenüber steht ein durchschnittlicher Drawdown (der maximale Wertverlust bis zum Wiedererreichen des Ursprungswertes) von 34 Prozent.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in den anderen Indizes. Der MSCI Europe liegt ein Jahr nach Bärenmarkt-Tiefpunkten bei einem Plus von 34 Prozent, während der Drawdown 32 Prozent beträgt. Und auch im Weltindex MSCI All Country World steht zwölf Monate nach einem Bärenmarkt eine Erholung von 32 Prozent einem Drawdown von 25 Prozent gegenüber.
Sogar lang anhaltende Bärenmärkte, etwa während der Rezessionen Anfang der 2000er (New Economy-Blase) und während der großen Finanzkrise ab 2007, konnten sich mit etwas Distanz wieder erholen. Bei ersterer verlor der S&P bis zu 49 Prozent und konnte bis zwölf Monate nach dem Tiefpunkt immerhin 33 Prozent wieder gutmachen. Bei zweiterer ging es sogar 57 Prozent nach unten, dafür folgte eine Erholung von 68 Prozent ein Jahr später.
Tabelle 1 Entwicklung des S&P500 in Bärenmärkten in Verbindung mit einer Rezession.
Entwicklung des S&P 500 in Bärenmärkten in Verbindung mit einer Rezession