DIE DEFINITION VON RISIKO IN DER VERMÖGENSANLAGE

Sehr geehrte Damen und Herren,

nachfolgenden Artikel von Herrn Georg von Wallwitz, welcher das Thema Risiko in der Anlage von Vermögen treffender nicht formulieren kann, möchten wir Ihnen nicht vorenthalten.

WARUM ES KEINE RISIKOLOSEN ASSETS GIBT

Die Vorstellung, es gebe ein „risikoloses Asset“, ist relativ neu, sagt Georg von Wallwitz. Er geht in seinem Beitrag den Fragen nach, warum es sich lohnt und sogar nötig ist, gewisse Risiken einzugehen, wie der Mathematiker und Physiker Blaise Pascal heute investieren würde und warum dies für die Lösung unseres Rentenproblems relevant ist.

Die Diskussion um die Einführung der „Aktienrente“ in Deutschland spricht Bände. Das Rentenniveaustabilisierungs- und Generationenkapitalgesetz – wie das Rentenpaket II offiziell heißt – war Ende Mai kaum vom Bundeskabinett beschlossen, da titelten deutsche Medien schon furchtsam „Reicht mein Geld im Alter?“ (Der Spiegel) bis hin zu (allzu) arbeitnehmerfreundlich und optimistisch „So geht Frührente“ (Finanztest). Auf der politischen Bühne machte das Wort von der „Casino-Rente“ die Runde. Fest steht, dass die Höhe der Kapitaldeckung im Vergleich zum jährlichen Rentenzuschuss und auch zu den Staatsfonds anderer Länder eher bescheiden ist. Fest steht auch jetzt schon, dass der bis 2035 geplante Kapitalstock von mindestens 200 Mrd. Euro nicht ausreichen wird, um einen weiteren Anstieg des Rentenbeitragssatzes zu verhindern. Man würde sich wünschen, dass wir uns bei der Lösung unseres Rentenproblems von den Gedanken des großen und vor 401 Jahren geborenen Mathematikers und Physikers Blaise Pascal leiten lassen.

Herbert Diem

PASCALS WETTE ODER DIE NOTWENDIGKEIT VON RISIKO

Blaise Pascal, dessen Name heute in keiner Wettervorhersage fehlen darf, war ein Wunderkind. In seinem Spielzimmer entdeckte er eigenständig die meisten Sätze der euklidischen Geometrie, indem er Diagramme auf die Fliesen zeichnete. Im Alter von 16 Jahren schrieb er einen derart klaren Aufsatz über die Mathematik des Kegels, dass sich selbst der große Descartes davon beeindruckt zeigte. 1646 brach sich der Vater die Hüfte. Die herbeigerufenen Knochenärzte gehörten zu den Jansenisten, einer sehr frommen und asketischen katholischen Gruppierung, unter deren Einfluss Pascal sowohl Mathematik als auch Wissenschaft aufgab und sich nun ganz der Religion widmete. Allerdings wurde er bald sehr krank und Ärzte, die keine Jansenisten waren, rieten ihm, seine frühere Lebensweise wieder aufzunehmen. Diese Kur schlug erfreulich schnell an. Denn als sein Vater bald darauf starb, verfügte Pascal plötzlich über erhebliche Finanzmittel, die er nicht nur in Alkohol und gutes Essen investierte: Er wurde auch ein regelmäßiger Besucher der Spieltische von Paris. Dort fand er die Inspiration für eine völlig neue Sicht auf den Roulettetisch und so wurde er einer der Väter der Wahrscheinlichkeitsrechnung und des mathematischen Risikobegriffs.

FÜR GOTT INS RISIKO GEHEN

Da Pascal noch immer ein frommer Mann war, wandte er seine im Casino gewonnenen Erkenntnisse bald auf die Religion an. Berühmt wurde er unter Theologen durch seine Wette auf die Existenz Gottes: Selbst wenn wir die Existenz Gottes für wenig wahrscheinlich halten, so ist sogar eine unwahrscheinliche Aussicht auf einen unendlichen Gewinn (das Paradies) höher einzuschätzen als die relative Sicherheit unseres endlichen und vergänglichen weltlichen Besitzes. Modern ausgedrückt: Die Annahme, dass es Gott nicht gibt, ist mit erheblichen Opportunitätskosten verbunden. Der Erwartungswert des Gewinns aus der Annahme der Existenz Gottes übersteigt jeden möglichen sicheren Gewinn im Diesseits. Also sollten wir so leben, als gäbe es Gott. Pascal betrachtete das Eingehen von Risiken nicht als eine bloße Option, sondern als eine Notwendigkeit. Jeder von uns sitzt am Spieltisch des Lebens.  Niemand kommt der Wette auf die Existenz Gottes davon, selbst wenn man nie von Pascal gehört hat oder seinem Argument nicht folgt. Auch wer das irdische Wohlbefinden ins Zentrum seines Strebens stellt, trifft eine Entscheidung, egal ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Da die Existenz Gottes niemals sicher ausgeschlossen werden kann, lebt man immer mit der Entscheidung für oder wider das Leben im Paradies.

VON DER BELOHNUNG DES RISIKOS

Das Argument lässt sich für gebildete Investoren durch die Unmöglichkeit risikolos mit Geld umzugehen veranschaulichen. Jeder Anleger muss sich entscheiden, ob er (a) geringe Risiken eingeht und mit einem geringen Ertrag auskommen und hohe Opportunitätskosten in Kauf nehmen kann, ob er (b) ein moderates Risiko eingeht mit der Erwartung einer einigermaßen auskömmlichen Rendite oder ob er (c) ein hohes Risiko eingeht, das zu hohen Verlusten oder plötzlichem Reichtum führen kann.

Keine der drei Möglichkeiten ist risikolos, jede hat ihre eigenen Tücken:

Die Möglichkeit (a) wird vom typischen deutschen Sparer bevorzugt, der sich auf die staatliche Rente verlässt und sein Geld in Sparbüchern, Pfandbriefen und Lebensversicherungen parkt. Sein Risiko besteht darin, dass er seine finanzielle Zukunft auf das Wort eines Politikers gründet („die Rente ist sicher“), das dieser nicht einlösen muss. Zudem ist die Inflation ohnehin der Feind jedes Parkens von Geld.

Die Möglichkeit (b) ergreifen Anleger, die ihre Ersparnisse in gemischte Geldanlagen aus Aktien, Anleihen oder Immobilien investiert haben. Unternehmen können pleitegehen, Anleihen sind von Inflation und Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bedroht. Und auch Immobilien können ebenfalls erheblich im Wert fallen, wie etwa die Anleger in offenen Immobilienfonds zuletzt feststellen mussten.

Die Möglichkeit (c) ergreifen Anleger, die es sich leisten, ihrem Unternehmergeist auch in der Geldanlage einen gewissen Raum einzuräumen, sowie Spekulanten, die das Risiko ihrer Entscheidungen oft nicht richtig einschätzen können. Ihr Vorbild ist Michael Jordan, der über 9.000 Fehlwürfe in seiner Karriere zu verzeichnen hatte, aber dennoch als der GOAT (greatest of all times) gilt. Natürlich geht es nicht immer gut, wenn man auf dem Spielfeld steht. Aber nicht zu werfen ist auch keine gute Strategie, wenn man gewinnen will.

WIE WÜRDE PASCAL INVESTIEREN?

Pascal würde heute den Spieltisch gegen die Börse eintauschen. Da er weiß, dass er ohnehin wetten muss, würde er in Aktien oder Unternehmensanleihen investieren, gelegentliche Verluste mit Gleichmut ertragen und auf Gott vertrauen. Er würde die scheinbare Sicherheit der staatlichen Rente und der Anlage in Sparbriefen als das erkennen, was sie ist: Eine Flucht aus der Realität in eine unterkomplexe, einfache, ordentliche Scheinwelt oder schlicht eine falsche Vorstellung vom (Rentner-)Paradies.

Die Vorstellung, es gebe ein „risikoloses Asset“, ist relativ neu. Sie ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgekommen. Die Existenz eines solchen Assets wurde nicht aus der Beobachtung von Cash, kurzlaufenden Staatsanleihen, Gold, Rentenansprüchen etc. hergeleitet, sondern war eine notwendige Annahme in der mathematischen Theorie von Harry Markowitz (die er vollkommen ohne eigene praktische Erfahrung entwickelt hatte). Um der besseren Berechenbarkeit Willen wurde in dieser Theorie Risiko mit Volatilität gleichgesetzt und seither hat es sich in den Köpfen festgesetzt: Die klimpernde Münze in meiner Tasche oder mein Rentenanspruch gegen den Staat sind auch morgen noch dieselben und daher kein Risiko. Was sich nicht ändert, kann auch keinen Wert verlieren.

RISIKO – EINE FRAGE DER ZEIT

In der Praxis ist diese Denkweise, wie die meisten Abstraktionen, interessant, aber limitiert. Erstens lässt sie das Element der Zeit außer Acht. Vergleicht man etwa Volatilität und Ertrag des amerikanischen Aktienmarktes und von amerikanischen Staatsanleihen mit 30-jähriger Laufzeit, so ergibt sich per Ende 2023 folgendes Bild:

Über 30 Jahre wiesen die Aktien eine Volatilität von 15,3 % aus und einen jährlichen Ertrag von 8,1 % pro Jahr. Für die Staatsanleihen lag der Ertrag bei 5,3 % – bei einer Volatilität von 14,1 %. Für einen Anleger, der täglich auf die Börsenkurse schaut, mag das Aktieninvestment nervenaufreibender sein. Aber wer nur alle paar Monate, Jahre oder – wie bei der Altersvorsorge – Jahrzehnte seinen Vermögensstand betrachtet, wird das Argument, Aktien seien risikoreicher, nicht gelten lassen. Denn er sieht den Ertrag und nicht den Weg dorthin und stellt wahrscheinlich fest, dass das Risiko, signifikant weniger Vermögen gebildet zu haben, auch ein Risiko ist. Ob der Markt ein Unternehmen höher oder niedriger bewertet als im Vormonat, ist für langfristige Investoren nichts als eine statistische Größe, die allenfalls Relevanz hat, wenn sie zu realen Konsequenzen beim Verkauf führt. So wie das Wetter, das ebenfalls schwankungsanfällig ist, erst interessant wird, wenn man sich aus dem Haus bewegt. In der Praxis muss sich über schwankende Bewertungen nur den Kopf zerbrechen, wer verkaufen muss, etwa weil er Verpflichtungen hat, die den Assets gegenüberstehen.

Was also lernen wir von Pascal und seiner rationalen Wette auf dem Weg ins Paradies? Wir sollten uns an der Börse möglichst viele Investitionen mit möglichst positivem Erwartungswert aussuchen und dann beherzt und mit langem Atem agieren. Kurz: der Pascal’sche Investor ist sich auch der versteckten Risiken bewusst, rechnet sich seine Chancen aus und bringt etwas Gottvertrauen mit.

ÜBER DEN AUTOR

Georg von Wallwitz ist Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Eyb & Wallwitz. Als Lead-Portfoliomanager verantwortet er die Fonds Phaidros Funds Balanced und Phaidros Funds Schumpeter Aktien. Zu seinen vorherigen Stationen zählen die DWS und die Privatbank Hauck & Aufhäuser. Von Wallwitz hat Mathematik und Philosophie studiert und veröffentlicht regelmäßig Bücher über Finanz- und Wirtschaftsthemen.

Für viele mag diese Abhandlung zu wissenschaftlich sein. ABER ganz ehrlich, ich habe selten so einen tollen Artikel zu diesem Thema gelesen. Deswegen wollen wir Ihnen auch im nächsten Börsenupdate zwei Fonds von Herr von Wallwitz vorstellen.

Für Fragen und Anregungen stehen wir gerne zur Verfügung. Ebenso bieten wir Ihnen auf Anfrage auch die geeigneten Anlageideen an und besprechen diese mit Ihnen.

Mit besten Grüßen

ppa. Herbert Diem

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